Die Presse | 10.08.2002 | Ressort: Architektur | Von Christian Kühn
Ein Landeshauptmann läßt sich von der „Kronen Zeitung“ vorschreiben, wie er über Architektur zu urteilen hat. Über „gesundes Volksempfinden“ und wie es in die Welt kommt: ein Lokalaugenschein in Salzburg anläßlich der Nicht-Verleihung des Landesarchitekturpreises.
Darüber lacht das ganze Land: Seit Monaten beklagen sich die Salzburger Bürger einhellig über den ,schwarzen Block‘. Das Heizkraftwerk Mitte gilt längst als Schandfleck mitten im Zentrum der Mozartstadt. Nur die Architekten sehen das anders: Ein Teil des Industrie-Klotzes soll sogar den Landes-Architekturpreis 2002 erhalten!
In ihrer Ausgabe vom 25. Juni berichtet die Salzburger Ausgabe der „Kronen Zeitung“ erstmals über einen sich ankündigenden Skandal. Unter den drei Preisträgern, die von der Jury für den Landes-Architekturpreis gekürt wurden, befinde sich das Heizkraftwerk Mitte, ein Industriekomplex, dessen Front zur Salzach – ein mächtiger Körper aus anthrazitgrauem Stahlbeton – gerade fertiggestellt wird. Aber noch, so berichtet die „Kronen Zeitung“ einen Tag später, sei Hoffnung: Auch der Landeshauptmann selbst – vom Chefredakteur der Salzburg-„Krone“ telephonisch befragt – halte „den ganzen Komplex für häßlich“ und habe bisher „keine Gelegenheit gehabt“, den Regierungsbeschluß zu unterschreiben. Ob die Preisverleihung am 1. Juli, für die bereits die Einladungen ausgeschickt sind, stattfinden werde, sei ungewiß.
Am 29. Juni gibt die „Krone“ Entwarnung: „Seit Freitag ist es fix: Fürs Heizkraftwerk Mitte gibt es keinen Architekturpreis vom Land Salzburg! In der Regierung verweigerte die ÖVP ihre Zustimmung, und die SPÖ wollte die Auszeichnung nicht im Alleingang beschließen – das hätte in Salzburg wohl zu viele Sympathien gekostet.“
Die Veranstaltung am 1. Juli findet zwar statt, allerdings ohne Preisverleihung: Kulturlandesrat Othmar Raus hatte sich – im Einvernehmen mit der Jury – dem Wunsch des Landeshauptmanns verweigert, für die anderen beiden Preisträger und die Anerkennungen gesonderte Regierungsbeschlüsse auszustellen.
Alles nicht so schlimm, oder? Warum soll eine Landesregierung sich bei einem Preis des Landes nicht auch einmal über das Urteil einer Fachjury hinwegsetzen dürfen, wenn dieses Urteil das „gesunde Volksempfinden“ beleidigt? Gehört es nicht zur Aufgabe der Politik, Entscheidungen zu treffen und sie nicht den Experten zu überlassen? Hat der Landeshauptmann hier nicht sogar Mut gegenüber elitären Fachzirkeln bewiesen, die „völlig abgehoben von den Menschen“ agieren?
Das Gegenteil ist der Fall. Die Entscheidung zeugt nicht von Mut, sondern von Inkompetenz und Opportunismus. Daß Franz Schausberger das Heizkraftwerk Mitte häßlich findet, ist ihm unbenommen. Daß Landeshauptmann Schausberger sich von der auflagenstärksten und daher für ihn gefährlichsten (beziehungsweise hilfreichsten) Zeitung vorgeben läßt, wie er sich im Rahmen eines öffentlichen Verfahrens sein Urteil über ein Projekt zu bilden hätte, ist jedoch unverantwortlich und wird nicht ohne Folgen auf andere Entscheidungen bleiben. Die Vorgänge um den Landesarchitekturpreis sind ein Musterbeispiel dafür, wie die Mechanik des Populismus den Handlungsspielraum der Politik einschränkt und letztlich die politische Kultur ruiniert.
Ein Teil dieser Mechanik besteht in der gezielten Fehlinformation: Die Jury für den Landesarchitekturpreis hatte nicht den noch unvollendeten „schwarzen Block“ des Kesselhauses ausgezeichnet, sondern ein anderes Gebäude auf dem Areal, das von denselben Architekten stammt. Der erste Artikel in der „Kronen Zeitung“ trägt jedoch den Titel: „Lob für ,perfekte Harmonie‘ im schwarzen Block an der Salzach!“. Im nächsten Artikel werden Unregelmäßigkeiten bei der Jury insinuiert: Das Kesselhaus hätte nur durch „blanken Zufall“ nicht den Preis bekommen. Erst als entschieden ist, daß es zu keiner Preisverleihung kommt, wird klargestellt, daß die Architekten „das Betriebsgebäude beim Heizkraftwerk Mitte, einen der drei Bauteile des heftig umstrittenen Industriegeländes“, eingereicht hätten.
Die Infamie besteht nicht zuletzt darin, daß in den ersten Artikeln die Begründung der Jury durch diese falsche Zuweisung lächerlich gemacht wird. Zwar wird korrekt aus dem Juryprotokoll zitiert: Das Gebäude mute „in seiner Klarheit überzeugend und selbstverständlich an“ und erreiche „in seinen baulichen Nuancen eine – fast möchte man sagen – perfekte Harmonie“. Es sei ein herausragendes Beispiel dafür, wie „klar und funktionell, ästhetisch und gleichzeitig persönlich und liebenswürdig erzählend“ gebaut werden könne. Auf das Kesselhaus bezogen – das gänzlich andere, eigenständige Qualitäten hat als das Betriebsgebäude – sind diese Aussagen freilich absurd.
Diese Mißachtung der Jury, der sich der Landeshauptmann mit seiner Entscheidung angeschlossen hat, ist jedenfalls beispiellos. Ein Preis, den ein Land vergibt, um hervorragende kulturelle Leistungen öffentlich als vorbildlich zu würdigen, braucht eine seriöse, also nachvollziehbare und diskutierbare Begründung. Die Jury hat ihre Arbeit entsprechend seriös geleistet.
Mit ihrer Entscheidung hat sie Bauaufgaben ins Rampenlicht gestellt, die – anders als Museen und Theater – oft nicht einmal mit Architektur in Verbindung gebracht werden: zwei Sozialbauten und einen Industriebau.
Das Altenwohnheim in Neumarkt am Wallersee von Klaus Kada und Gerd Wittfield mit seiner klassischen Eleganz ist offensichtlich für Senioren gebaut, die schon in der Moderne alt geworden sind. Das Kinder- und Jugendhaus in Liefering von Thomas Forsthuber, eines der außergewöhnlichsten Projekte der letzten Jahre, ist schon mehr im 21. Jahrhundert zu Hause: eine ruppige, in Stahlblech verkleidete Bauskulptur, die als offenes Milieu für Kinder und Jugendliche funktionell perfekt auf die Aufgabe zugeschnitten ist. Mit dem Betriebsgebäude von Bétrix & Consolascio und Eric Maier hat die Jury schließlich einen Industrie- und Verwaltungsbau ausgezeichnet, der ohne jeden Zweifel zum Besten zählt, was auf diesem Sektor in Österreich zu finden ist.
Explizit weist die Jury – bestehend aus Marianne Burkhalter, Hannelore Deubzer, Maria Flöckner, Otto Kapfinger und Margherita Spiluttini – darauf hin, daß ihre Entscheidung nicht allein von ästhetischen Kriterien bestimmt ist. In einem Protestbrief an die „Kronen Zeitung“ schreibt Otto Kapfinger, das Betriebsgebäude sei „vor allem auch im Inneren für die MitarbeiterInnen eine der attraktivsten modernen Arbeitsstätten, die ich in Salzburg und darüber hinaus kenne. Es wäre lohnenswert, wenn hier ein Tag der offenen Tür allen vorschnellen, uninformierten Lästermäulern zeigen könnten, wie funktionale Arbeitsstätten heute gestaltet werden können.“
Spielt alles keine Rolle. Der Populismus braucht keine denkenden Bürger, sondern verärgerte. Ich gehe eine Wette ein, daß jeder Besucher, der die Bauten von die Bétrix & Consolascio in Salzburg etwas näher kennenlernen darf, zumindest Respekt haben wird: vor der plastischen Durchbildung der Baukörper, vor der Qualität der Innenräume, der funktionellen Lösungen und der Details.
In der „Kronen-Zeitung“-Passanten-Umfrage werden die „Menschen von der Straße“ dagegen zu Karikaturen reduziert: „Meine Meinung: Es ist schiach, einfach schiach!“ „A Katastrophe, eigentlich a Schweinerei!“ „Wenn man privat etwas machen will, machen sie einem das Leben schwer.“ „So was sollen sie ins Ruhrgebiet stellen!“ „Es ist eine Qual, wie es ausschaut“, wird die „Inhaberin des wunderschönen Blumengeschäfts ,Pusteblume‘ genau gegenüber dem Bauwerk“ zitiert. Für den „Krone“-Redakteur Anlaß für ein wenig Pathos: „In ihrem Geschäft ist Schönheit Trumpf, ihre Blumen stehen für Wärme und Menschlichkeit, aber dieses Gegenüber! Eine schwarze Masse, ein finsterer Block, kalter Beton, Fenster wie Schießscharten.“
Wer so schreibt, hat einen Leser vor Augen, der dumm genug ist, nicht zwischen einem Blumengeschäft und einem Kesselhaus mit einem inneren Lärmpegel von 90 Dezibel unterscheiden zu können. Daß die Salzburger den dunklen Block nicht ins Herz schließen würden, war zu erwarten. Aber vielleicht werden sie bald akzeptieren, daß dieser Teil ihrer städtischen Infrastruktur einfach da ist, eine schmucklose, mächtige Figur, eine Betonkulisse, die es mit anderen Felsformationen in ihrer Nähe durchaus aufnehmen kann.
Und vielleicht werden sie irgendwann sogar anerkennen, daß Bétrix & Consolascio mit den Projekten, die sie seit 1987 auf diesem Areal und an anderen Orten im Stadtgebiet realisieren konnten, Architekturgeschichte geschrieben und wesentlich zum Image Salzburgs jenseits des Barocks beigetragen haben.
Für die aktuelle Diskussion ist diese Perspektive freilich zu langfristig. Die Mitglieder der Landesregierung, die ihre Unterschrift für den Landesarchitekturpreis verweigert haben, sollten erkennen, daß sie dadurch beim Mediaprint-Konzern unter Vertrag stehen. Wenn die Politik die offene und seriöse Diskussion über die Qualität der gebauten Umwelt dem billigsten Populismus opfert, verliert sie ihren Handlungsspielraum in einem Gebiet, das im Alltagsleben der Bürger immer noch zu den wichtigsten gehört.
Daß die Bürger klüger sind, als es die „Kronen Zeitung“ erlaubt, stellt sich vielleicht bei den nächsten Wahlen heraus.