Text: Tina Mott / MODULØR, #4 2023
Mutig und doch sensibel verwebt der neu geschaffene Verbindungsbau des Mozarteums nicht nur die beiden Volumen des bestehenden Ensembles, sondern zugleich das historische Erbe Salzburgs mit der Zukunft der Stadt.
Die respektvolle Zusammenarbeit verschiedener Akteure unter der Federführung des einheimischen Architektenduos Maria Flöckner und Hermann Schnöll zeigt, wie fruchtbar und bereichernd offen geführte Diskurse ohne Denkverbote auf architektonische und urbanistische Prozesse wirken können.
„Eine vermeintlich einfache Architektur, die sich als komplex und gut durchdacht erweist – ganz im Mozartschen Sinn!“ Johannes Honsig-Erlenburg, Präsident der Internationalen Stiftung Mozarteum Salzburg bringt es treffend auf den Punkt. Nachdem die Verantwortlichen der international renommierten Institution sich fast 7 Jahre Zeit genommen haben, um die Vorbereitung, Planung und Umsetzung des kleinen, doch ausgesprochen heiklen Bauprojektes mit Ruhe und Bedacht anzugehen, ist es schliesslich vollbracht – und sitzt!
Bereits im Jubiläumsbuch, das 2014 zum Zentenarium des Bestandsensembles an der Schwarzstrasse publiziert wurde, hatte der musikbegeisterte Jurist am Ende des Bandes einige „Phantasien für die Zukunft“ des Hauses gewagt. Denn sowohl die gesetzliche Forderung der Barrierefreiheit als auch der lang gehegte Wunsch des Konzertpublikums nach einer grosszügigen Alternative für den beengten Pausenraum führten immer wieder zu Diskussionen im Vorstand über die Notwendigkeit baulicher Anpassungen.
Raum für Potential
Der Gebäudekomplex war just am Vorabend des Ersten Weltkrieges fertiggestellt worden. Während Kaiser Franz-Josef I. die Grundsteinlegung im Jahr 1910 noch durch seine persönliche Anwesenheit beehrte, musste die feierliche Einweihung im Frühsommer 1914 auf Grund des Attentats von Sarajevo abgesagt werden und liess sich erst Monate später durch den Erzbischof in aller Stille nachholen.
Die Idee zur Gründung eines Konservatoriums in Salzburg entstand bereits Mitte des 19. Jahrhunderts, als eine Gruppe von engagierten Musikliebhabern das künstlerische Erbe der Stadt als Wiege und Wirkungsstätte von Wolfgang Amadeus Mozart ins öffentliche Bewusstsein rücken wollte, um ihr Potenzial im Sinne einer europäischen Kulturmetropole zu entfalten. So sollte nicht nur die Förderung junger Talente, sondern auch die Pflege und Weiterentwicklung einer reichen musikalischen Tradition gewährleistet werden.
Im Jahr 1856, anlässlich des 100. Geburtstages des Kompositionsgenies, konstituierte sich der Mozart-Bauverein, um die Errichtung einer Musikhochschule mit einem grossen Saal für Aufführungen und Festveranstaltungen zu fördern. Doch es sollte noch mehr als fünf Jahrzehnte dauern, bis die inzwischen gegründete Stiftung schliesslich 1907 die Villa Lasser mit ihrem weitläufigen Park als Baugrund erwarb.
Die ehemalige Privatresidenz des Innenministers der K.-u.-k.-Monarchie war nur 20 Jahre zuvor an städtebaulich spannungsvoller Lage am rechten Ufer der Salzach errichtet worden. Die Parzelle bildete ursprünglich einen Teil des prachtvollen Barockgartens von Schloss Mirabell und bietet Blicke über den Fluss zum Domviertel, dem Mönchsberg und der Festung Hohensalzburg. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts erfreute sich das Gebiet der heutigen Schwarzstrasse nach der Uferregulierung einer regen Bautätigkeit, wodurch zahlreiche prachtvolle Villen, Geschäfts- und Restaurationsbetriebe, elegante Hotelbauten wie auch das Stadttheater entstanden.
Nach sorgfältigen Vorbereitungen konnte im Jahr 1909 schliesslich der prestigeträchtige Wettbewerb ausgelobt werden. Das Raumprogramm umfasste den Neubau eines Konzertsaals für 800 Personen sowie die Adaptierung der Villa Lasser für Unterrichtszwecke und deren Erweiterung um die notwendigen Räumlichkeiten für die Verwaltung, eine Bibliothek und ein umfangreiches Mozart-Archiv.
Blattgold statt Eisenbeton
Das Projekt des noch recht jungen, doch bereits renommierten Architekten Richard Berndl behauptete sich gegen 63 Konkurrenzbeiträge. Es war ihm gelungen die Jury mit einem für die damalige Zeit durchaus erstaunlichen Entwurf zu überzeugen. Der frisch berufene Professor der Königlichen Kunstgewerbeschule in München löste die Bauaufgabe städtebaulich klug, indem er zwei eigenständige Volumen konzipierte, die nur durch einen brückenartigen Portalbau verbunden sind. Das Konzerthaus wirkt als markanter Solitär mit zum Strassenraum gerücktem Arkadenvorbau, während die etwas zurücktretende Villa durch zwei symmetrische Seitentrakte ergänzt wurde.
Was jedoch aus kunsthistorischer Sicht bemerkenswert erscheint, ist die Wahl des architektonischen Stils. Zu einer Zeit als in andern Städten des Habsburgerreiches und der restlichen Welt der Kunst- und Architekturkosmos aus seinen Angeln gehoben wurde von den bahnbrechenden Ideen und avantgardistischen Ansätzen der zeitgenössischen Kulturschaffenden, als Bewegungen wie der Jugendstil, Art Deco und die Secession den Diskurs in Wien, Prag, Paris und eben auch München prägten, entwarf Berndl den Neubau des Mozarteums im Spät-, oder vielleicht trefflicher formuliert, sogar im späten Späthistorismus.
Im selben Jahr hatte Adolf Loos sein kompromiss- und schnörkelloses Geschäftshaus am Michaelerplatz in Wien vollendet, das Kaiser Franz Josef I. dazu veranlasste, die Fenster der gegenüberliegenden Hofburg zu vernageln, um das „scheußliche“ Bauwerk nicht mehr sehen zu müssen. Und 16 Stadtbezirke weiter trieb Jože Plečnik den Thronfolger Franz Ferdinand zur Weissglut, als er es wagte, die Heilig-Geist-Kirche ganz aus rohem Eisenbeton zu giessen. In diesem Kontext setzten der Münchner Architekt und die Salzburger Jury auf barockisierende Stilelemente wie pilastergegliederte Fassaden, Rundbögen und opulente Rocaillen in Blattgold. Dabei beabsichtigten sie wohl nicht nur, dem künstlerischen Erbe vergangener Epochen zu huldigen, sondern vor allem auch, die Nerven der erzkonservativen Salzburger Honorartoren zu schonen.
Denn in der Tat reflektiert das Bestandsgebäude des Mozarteums die wechselhafte Geschichte der Stadt während der vergangenen Jahrhunderte und offenbart die damit verbundenen Tendenzen, sich auf das Bewahren und Erhalten zu konzentrieren. Denn nach dem Aufstieg der Salzmetropole zur Residenz der Fürsterzbischöfe erfuhr sie um 1600 unter Wolf Dietrich von Raitenau eine kulturelle Blütezeit, in der sie zur prächtigsten Barockstadt Mitteleuropas ausgebaut wurde. Doch schon bald folgte eine Ära der politischen Bedeutungslosigkeit, und erst nach zermürbenden Wirren während der Zeit Napoleons kam Salzburg schliesslich 1816 zu Österreich. Dort musste sich das architektonische Kleinod mit dem Status einer bescheidenen Kreisstadt begnügen, bevor es sich 1848 als Kapitale eines ländlich geprägten Kron- und später Bundeslandes etablieren konnte. Seit dieser Epoche wurde auch der Kult um Salzburgs berühmtesten Sohn bewusst gefördert, und so entwickelte sich der Fremdenverkehr, vor allem nach dem Bau der Eisenbahn, zu einem bedeutenden wirtschaftlichen Faktor.
Vertrauensvolles Zusammenwirken
Roman Höllbacher, der künstlerische Leiter der Initiative Architektur, charakterisiert die Kulturmetropole in ihrem historischen, gesellschaftlichen und architektonischen Kontext als „gefrorene Stadt“. Er beschreibt Salzburgs ambivalente Einstellung zur Moderne, mit einer streng denkmalgeschützten Altstadt, die als UNESCO Weltkulturerbe zwar stark touristisch frequentiert ist, jedoch gleichzeitig von den Einheimischen verlassen. Historische Gebäude würden in diesem Rahmen als unveränderliche Kunstwerke betrachtet, die das Bild einer „vollendeten“ Stadt erzeugten. Doch dieser Blick liesse nur wenig Raum für lebendige städtebauliche und architektonische Entwicklungen, welche den Bedürfnissen und Herausforderungen der heutigen Gesellschaft gerecht werden könnten. Höllbacher betont die Notwendigkeit des Erwachens aus dem kulturellen Dornröschenschlaf, um eine lebenswerte Zukunft für alle Bevölkerungsschichten zu gewährleisten. Er fordert mutige politische Entscheidungen, um die Stadtarchitektur durch ein wohldosiertes Mass an Respekt aber auch Innovationskraft als kulturelles Erbe zu schützen und gleichzeitig zu beleben.
Ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass die konkrete Verwirklichung dieser Gedanken durchaus umsetzbar ist, stellt das von Johannes Honsig-Erlenburg eingangs gepriesene, mit viel Bedacht gewobene und gesetzte architektonische Werk dar. Hat es das Mozarteum vor einem Jahrhundert noch verabsäumt, die Salzburger Bautradition herauszufordern, um sensibel doch auch kühn die zeitgenössischen Ausdrucksformen von Gestaltung und Konstruktion zu erkunden, so konnte die Institution diese Herausforderung nun unter der Federführung der Architekten Maria Flöckner und Hermann Schnöll mit bemerkenswerter Bravour nachholen.
Als sich die Stiftung im Juni 2016 definitiv dazu entschlossen hatte, ihr Haus durch einen Neubau zu ergänzen, um eine gesetzeskonforme Erschliessungssituation und qualitätsvolle Räumlichkeiten für die sozialen Interaktionen des Konzertpublikums zu schaffen, sollte dieser Anspruch in Form einer zeit- und funktionsgemässen Verbindung zwischen den beiden Bestandsvolumen realisiert werden. Von Anfang an waren sich die Verantwortlichen bewusst, dass dieses heikle Unterfangen in der Kernzone der Altstadt nur durch das vertrauensvolle Zusammenwirken vieler verschiedener Mitspieler gelingen konnte.
So wurde ein umfassender Prozess angestossen, in den, neben den verschiedenen Gremien der Stiftung, auch das Bundesdenkmalamt, ICOMOS als Vertreterin der UNESCO sowie die Sachverständigenkommission für die Altstadterhaltung mit eingebunden wurden. Das breite Feld der Mitverantwortlichen führte zunächst zu längeren Entscheidungsprozessen, doch durch diesen umfassenden Ansatz konnten die Widerstände, Kritikpunkte und Bedenken von Seiten der Bevölkerung, Politik und Medien im Laufe des Verfahrens Schritt für Schritt ausgeräumt werden.
Nach einer detaillierten Machbarkeitsstudie wurden 18 ausgewählte Teilnehmer zu einem zweistufigen Architekturwettbewerb eingeladen, in dessen Ausschreibungsunterlagen die Landeskonservatorin Eva Hody nochmals die hohe Sensibilität des Bauplatzes betonte. Denn dieser liegt im Gebiet des Salzburger Weltkulturerbes und grenzt an die denkmalgeschützten barocken Wehrmauern und die Gartenanlage des Schlosses Mirabell. Der neue Verbindungsbau sollte sich daher sowohl in den städtischen Kontext als auch das Erscheinungsbild des Mozarteums angemessen einfügen und keine ausgeprägte Dominanz aufweisen.
Aus den Einreichungen des international hochkarätig besetzten Feldes wurden schliesslich drei Beiträge ausgewählt, deren Verfasser in der zweiten Stufe an einer Anhörung teilnahmen, um die Entwürfe nochmals zu überarbeiten. Im September 2018 entschied sich die Jury dann mit einstimmigem Votum für das Projekt des einheimischen Architektenduos Flöckner und Schnöll.
Verweben und Vernähen
„Unser Projekt ist nicht unbedingt als Gebäude gedacht, sondern eher als Ort; so als würde man ins Freie treten.“ erklärt Maria Flöckner. „Wir wollten einen schmalen, transparenten Fugenraum schaffen, eine lichtdurchflutete Raumverbindung und Blickachse zwischen der Salzach und der historischen Grünzone. Eine filigrane Stahl- und Glasstruktur teilt diese Fuge in eine Ebene auf Strassenniveau und ein über sieben Meter hohes Volumen auf Höhe des Konzertsaals. Das Stadtfoyer kann grossflächig geöffnet werden und fliesst bei schönem Wetter in den öffentlichen Raum, während die darüber liegende Galerie sich zwischen den bestehenden Portalbau an der Schwarzstrasse und den Bastionsgarten spannt, der über eine Glasterrasse betretbar wird.“
„Dieses minimale Raumkonstrukt aus geätztem Weissglas und geölten Rohstahlbändern, ist wie ein Korb zwischen den Bestandsgebäuden eingehängt und nur punktuell im historischen Mauerwerk aufgelagert. Da klingt die Idee eines Musikinstruments an,“ ergänzt ihr Büropartner Hermann Schnöll.
Die Architekten verfolgten diesen Kerngedanken, sowohl statisch wie auch atmosphärisch, konsequent, um die Essenz der Fuge zu bewahren. Und auch das Bundesdenkmalamt sowie die Altstadtkommission unterstützten das Konzept, die Strukturen der beiden ausgesprochen unterschiedlichen Bestandsseiten durch das räumliche Verweben und Vernähen der Stahlbänder mit aufzunehmen. Denn die Salzburger waren die einzigen Wettbewerbsteilnehmer, denen es gelungen war, den Zwischenraum ausschliesslich für das Foyer freizuspielen, da sie alle geforderten Nebenräume an geeigneten Orten im Bestand untergebracht hatten.
„Bei einem so vielschichtigen Projekt ist es essentiell, dass alle Beteiligten ein sensibles architektonisches Verständnis für das Gebäude aufweisen,“ erläutert Hermann Schnöll. „Die Zusammenarbeit mit den Experten und Expertinnen der verschiedenen Institutionen und Gremien haben wir als ausgesprochen konstruktiv empfunden. Im Laufe des langen Verfahrens bildete sich eine solide Basis aus gegenseitigem Respekt und Vertrauen und diese fruchtbare Zusammenarbeit ermöglichte es schliesslich, das Werk auf hohem Niveau umzusetzen.“
Als Projektverfasser seien die Architekten sich ihrer Verantwortung durchaus bewusst gewesen, dass jedes positiv aufgenommene Bauwerk das Potenzial dazu habe, etwas in dieser Stadt zu bewirken. Sie betonten, dass die Integration zeitgenössischer Elemente die Lebendigkeit und Vielfalt fördern könne, ohne dabei die kulturelle Identität zu verwischen. Denn Salzburg habe durch sein reiches baugeschichtliches Erbe bei jeder Veränderung Angst davor, etwas zu verlieren.
„Doch damit geht auch dieses Atmende verloren, das alles braucht, um zu wachsen und sich zu entwickeln. Denn durch etwas frisch Gebautes wird alles neu. Es wird nicht nur etwas hinzugefügt, sondern die ganze Situation verwandelt sich. Und so stelle ich mir vor, wenn hier vermehrt qualitätvolle Projekte gegenwärtiger Architektur zugelassen würden, könnten die Menschen selbst erkennen, wie wertvoll diese für die Stadt sind. Denn dann sehen und erfahren sie diesen Mehrwert unmittelbar! Und so haben wir darauf geachtet, dass unser Beitrag keine abrupten Brüche verursacht, sondern vielmehr als Impuls für die urbane Entwicklung wirkt. Eine Bereicherung, die das Stadtbild erweitert und zugleich das historische Erbe respektiert,“ erklärt Maria Flöckner und fügt mit einem Lächeln hinzu: „Denn wir wollen die Salzburger ja keinesfalls verschrecken.“
zum projekt MOZARTEUM FOYERS