Text: Roman Höllbacher / architektur.aktuell, no. 513, 12.2022
Die Kunst der Fuge Die Internationale Stiftung Mozarteum (ISM) in Salzburg ist die weltweit renommierteste Institution zur Pflege des Werks von Wolfgang Amadeus Mozart. Mit einer ausgeklügelten Intervention haben Maria Flöckner und Hermann Schnöll dem denkmalgeschützten Gebäudeensemble an der Schwarzstraße in Salzburg nun zu einer Art architektonischem Erweckungserlebnis verholfen.
Der erste Umbau Anlässlich von Mozarts 100. Geburtstag konstituierte sich 1856 in Salzburg ein Verein zur Erbauung eines Mozarthauses. Nach vielen erfolglosen Anläufen gelang es 1907, die Villa Lasser samt dem dazugehörigen Grundstück an der heutigen Schwarzstraße zu erwerben, für die 1910 ein Ideenwettbewerb ausgeschrieben wurde. Unter 64 Beiträgen errang der Münchener Richard Berndl den ersten Preis. Um das geforderte Raumprogramm zu erfüllen, die Villa Lasser sollte das Konservatorium, die Sammlungsbestände und die Verwaltung aufnehmen, musste Berndl sie gehörig erweitern. Während er den von ihm stilistisch runderneuerten Baukörper an der Schwarzstraße mit zwei seitlichen Risaliten noch symmetrisch ergänzte, erscheint die Fassade zum Mirabellgarten als zufällige Staffelung unterschiedlich dimensionierter Baukörper, die er hart an die historische Basteimauer setzt. Zwischen dem überformten Bestandsbau und dem neu errichteten Konzerthaus entstand ein schmaler Hof, der durch einen Torbau an der Schwarzstraße und einem rückwärtigen Verbindungstrakt räumlich gefasst wird. Bei diesen im Erdgeschoss mit Palladio-Motiven geöffneten Bauteilen zeigen sich strukturelle Probleme des Entwurfs. Die unterschiedlichen Geschosshöhen und Niveaus von Villa Lasser und Konzerthaus kann Berndl nur ungeschickt überwinden. Die einzige Verbindung der beiden Häuser führt über eine steile Stiege im Bestandsbau. Die Terrasse des Torbaus kann wegen fehlender Zugänge gar nicht betreten werden. Der Weg vom Wiener Saal im Bestandsgebäude zum Pausenbuffet ist seit jeher eine Zumutung. Dabei war dieser Pausenraum zunächst überhaupt nicht vorgesehen. Noch in der Bauphase musste Berndl einen als Depot geplanten Raum entsprechend adaptieren. Es blieb eine Notlösung.
Mängel und Notwendigkeiten Mit diesen Unzulänglichkeiten lebt die ISM seit der Eröffnung des Hauses im Jahr 1914. Hinzu kommt, dass das Verwaltungs- und Unterrichtsgebäude keine barrierefreie Erschließung besitzt. Selbst das Konzerthaus erfüllt diese gesetzliche Vorgabe, trotz eines 2002 erfolgten Lifteinbaues, nur mangelhaft. Eine von Erich Wenger erstellte Raum- und Funktionsanalyse zeigte die Defizite auf und kategorisierte sie nach Dringlichkeit. Seitens des Bundesdenkmalamtes erkannte man die Notwendigkeit, das Denkmal durch eine Behebung dieser Mängel zu stärken und stellte fest: „Ein neues Verbindungsbauwerk zwischen den bestehenden Gebäuden kann aus Sicht der Denkmalpflege im Sinne des Weiterbauens sowohl städtebaulich als auch für das Erscheinungsbild des Mozarteums einen zeitgemäßen Akzent setzen und in den städtischen Raum wirken.“ Den folglich ausgelobten dreistufigen Wettbewerb gewannen Maria Flöckner und Hermann Schnöll. Ihr Entwurf erhält den romantischen Torbau zur Schwarzstraße, während sie den rückwärtigen Verbindungstrakt aufgrund der geschilderten Mängel abbrechen. Das Wesen des neuen Objekts, mit dem sie die Fuge zwischen den beiden Bestandsbauten besetzen, lässt sich als Paradoxon beschreiben: Es handelt sich um ein Bauwerk, das sich nicht als solches begreift, sondern als begehbare Struktur, deren Transparenz eine Brücke zwischen den massiven Baukörpern bildet, die sie verbindet.
Lichtdurchflutet und barrierefrei Funktional betrachtet handelt es sich um zwei Foyers, ein Stadtfoyer auf Erdgeschossniveau – und ein zweites auf der Höhe des ersten Obergeschosses. Dieses dem Großen Saal des Konzerthauses zugeordnete Foyer lässt sich großzügig zum Basteigarten und zum Torbau an der Schwarzstraße öffnen. Neben ihrer Funktion als Vestibül, als Wandel- und Pausenräume ermöglichen sie eine barrierefreie Verbindung zwischen den Bestandsgebäuden. Erstmals können nun Musikinstrumente wie ein Konzertflügel von einem Haus in das andere verbracht werden, ohne dass man eine Spedition engagieren muss. Die hohen lichtdurchfluteten Foyers wirken wie ein riesiges Beatmungsorgan für den ganzen Komplex. Das Licht flutet durch die übereinander liegenden Foyers bis auf den Boden der Stadt und in die Tiefen der bestehenden Gebäude. Nebenbei wurden Beeinträchtigungen durch frühere Umbauten behoben. So steht der kleine Amor, der durch eine Überplattung im Dunkel verschwunden war, nun dank des neuen gläsernen Übergangs in den Basteigarten wieder im Licht und erfüllt seine Rolle als neckischer Blickfang an der alten Stadtmauer.
Zur Konstruktion Die neue Struktur besteht aus einer zweigeschossigen Konstruktion aus geölten Schwarzstahlbändern, die in die Wände der Bestandsbauten vertikal eingehängt und punktuell aufgelagert sind. Diese Stahllisenen bilden zusammen mit versetzt angeordneten horizontalen Rippen, die in einem Mittelgrat zusammenlaufen, statisch eine Einheit. Wie bei einem Brustkorb entsteht eine robuste Konstruktion, die sich stützenfrei von Wand zu Wand spannt. Die Dimension, die Anzahl und die Position der Bänder leiten sich von den Bestandsfassaden ab. Die Fassaden zur Straße und zum Basteigarten sowie das Dach bestehen aus mehrschichtigem Weißglas. Die Bodenfläche des Obergeschosses und Teile des Erdgeschosses sind mit rutschfestem Ornamentglas belegt, bei dem mittels eines thermomechanischen Verfahrens Teile aus der Oberfläche des Glases herausgelöst werden. So entstehen mehr oder minder zufällige Muster, die an Eisblumen erinnern, wie sie sich im Winter an Fenstern bilden können. Durch diese floralen, bisweilen kristallinen Strukturen wird das hindurchfallende Licht diffus gestreut. Blickt man von unten auf den darüber liegenden Glasfußboden, bilden sich die dort stehenden Personen nur schemenhaft ab, ohne dass man Details erkennen könnte.
Versprechen wurden gehalten Zwei Aspekte sind für die Großzügigkeit dieser beiden Foyers mit einer Fläche von rund 180 m2 im Erd- und rund 200 m2 im Obergeschoss entscheidend. Zunächst konnten tatsächlich alle dienenden Räume, wie KünstlerInnengarderoben, Depots, Toiletten usw. entweder in neu geschaffenen Kellerräumen oder in den Bestandsgebäuden untergebracht werden, sodass keine Einbauten die Weitläufigkeit der Hallenräume beinträchtigen.Nicht minder bedeutsam war das zweite Versprechen des Wettbewerbsentwurfs, alle technischen Anlagen, also die Kanäle für Zu- und Abluft, die Lüftungsauslässe, die Vernebelungsanlage, die elektrischen Installationen und die Leuchtmittel in der Konstruktion zu integrieren. Die Beschattung erfolgt auf natürlichem Weg durch die angrenzenden Gebäude. Lediglich an der Untersicht der Glasdeckenfelder, aber innerhalb der Konstruktionstiefe, wurden transparente Microsorber-Folien für den Schallschutz angebracht. Ob sie nötig sind, sei dahingestellt.
Wie geht es weiter? Bis zum kommenden Frühjahr werden die Außenanlagen fertiggestellt sein. Über eine bereits im Wettbewerb geplante direkte Verbindung vom Basteigarten des Mozarteums zum barocken Heckentheater im Mirabellgarten wird aktuell mit der Stadt Salzburg verhandelt. Dabei sollte man den Blick auf den größeren Zusammenhang richten. Es zeichnet sich mit dem Landestheater, den Kammerspielen, dem Marionettentheater, dem Solitär der Universität Mozarteum und den Häusern der ISM, die allesamt am und um den Mirabellgarten liegen, ein Pendant zum Festspielbezirk auf der linken Altstadtseite ab. Die neuen kunstvoll umgesetzten Foyers sollten ein Anstoß für einen Kulturbezirk sein, der von der Mannigfaltigkeit dieser Institutionen lebt.
zum projekt MOZARTEUM FOYERS